Traditionspflege an der Jugendhochschule
Zum politischen Selbstverständnis der Jugendhochschule der FDJ gehörten traditionsstiftende Erzählungen. In ritualisierter Form wurde die Schulgemeinschaft auf diese eingeschworen.
So gehörte die Ehrung des Namensgebers der Schule zu den festen Bestandteilen der Traditionspflege. Der 1950 verliehene Name „Wilhelm Pieck“ verpflichtete die Schule auf den Lebensweg des Kommunisten der ersten Stunde, Mitbegründer der SED, ersten Präsidenten der DDR und „Freund der Jugend“.
Ideologisches und auch organisatorisches Vorbild der Jugendhochschule war der sowjetische Jugendverband „Komsomol“. Ein enger Austausch mit der sowjetischen Jugend sollte die offiziell propagierte „unverbrüchliche Freundschaft“ zwischen der Sowjetunion und der DDR bekräftigen.
Auch eine vormilitärische Ausbildung gehörte zum Lehrprogramm am Bogensee, die die Jugendlichen zur Verteidigung der „sozialistischen Heimat“ befähigen sollte.
Der Ehrenhain wurde anlässlich des 90. Geburtstages des 1960 verstorbenen Wilhelm Pieck am 3. Januar 1966 feierlich eingeweiht.
Der Tag der Namensverleihung am 14. September 1950 wurde jedes Jahr im Sinne eines Gründungsjubiläums der Schule feierlich begangen.
Die Ausstellung im Traditionskabinett der Jugendhochschule.
Das Traditionskabinett befand sich im Lektionsgebäude und wurde auch für den Unterricht genutzt.
Ideologische Grundlagen
Die Freie Deutsche Jugend (FDJ) wurde 1946 in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) gegründet. Unter dem ersten FDJ-Vorsitzenden Erich Honecker (bis 1955) entwickelte sie sich zum Jugendverband der SED und somit zu einem Instrument der ideologischen Erziehung und Kontrolle. Rasch wuchs die FDJ zur Massenorganisation an, in der die Mehrheit der 14- bis 25-Jährigen in der DDR organisiert war. Der Jugendverband war in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, von den Schulen über die Betriebe bis hin zum Staatsapparat, vertreten.
Die Ausbildung für Leitungspositionen in der FDJ erfolgte an der Jugendhochschule am Bogensee. Ausgebildet wurde im Sinne des Kaderprinzips, nach dem nur ausgewählte und ideologisch geschulte Personen Führungsaufgaben im Verband übernehmen sollten. Demzufolge verstand sich die Jugendhochschule als „Kaderschmiede“ der FDJ.
FDJ-Emblem als Wandgestaltung im Vorlesungssaal des „Waldhofes“.
Das Leitbild der „Kaderschmiede“ wird in einer Broschüre vorgestellt, die anlässlich des 25. Jubiläums der Jugendhochschule erschien.
Vor Schulantritt wurden die Mitglieder der FDJ auf ihre ideologische Überzeugung sowie ihr Wissen über historische Ereignisse und die Tagespolitik geprüft.
Am 14. September 1950 wurde der „Jugendhochschule der FDJ am Bogensee“ der Name „Wilhelm Pieck“ verliehen. Pieck, dessen Namen viele Institutionen in der DDR trugen, genoss aufgrund seiner Funktion als Staatspräsident der DDR von 1949 bis 1960 und seiner politischen Erfahrungen hohes Ansehen in Partei und Staat. Zudem galt er als im Volk beliebter Politiker und „Freund der Jugend“.
Die Jugendhochschule hatte er von Beginn an regelmäßig besucht und hier Vorlesungen gehalten. Auch zur Namensweihe kam Pieck persönlich an den Bogensee und wurde festlich empfangen.
Nach seinem Tod 1960 richtete die Schule einen Ehrenhain ein und erinnerte an Pieck als politisches Vorbild.
Wilhelm Pieck (rechts) und der Vorsitzende der FDJ Erich Honecker (3. v. rechts) während eines Besuches am Bogensee im Herbst 1950.
Pieck war häufig am Bogensee zu Besuch. 1952 besichtigte er die Baustelle der neuen Jugendhochschule.
Pieck (4. v. l.) während eines Besuches der Schule 1952. Die Unterrichtsräume sind noch provisorisch in Baracken untergebracht. Pieck zeigte sich öffentlich gern im direkten Austausch mit den Jugendlichen.
Anlässlich des Todes von Wilhelm Pieck am 7.9.1960 wurde an der Jugendhochschule eine Ehrenwache gehalten.
Anlässlich des 30. Jahrestages der Namensverleihung erhielt die Schule 1980 den „Karl-Marx-Orden“ feierlich durch Erich Honecker überreicht.
Partei- und Regierungschef und damit Inhaber der politischen Macht in der DDR war Walter Ulbricht. Dennoch wurde Wilhelm Pieck (1876–1960) in den DDR-Medien gern als „Landesvater“ und damit als politische Integrationsfigur inszeniert. Als Präsident sollte er den neu gegründeten Staat nach innen und außen repräsentieren. Bei öffentlichen Auftritten gab er sich nahbar und väterlich – im Gegensatz zum distanziert wirkenden Ulbricht. Ritualisierte Ordens- und Namensverleihungen, wie die Verleihung seines Namens an die Hochschule der FDJ 1950, bezeugen einen Personenkult um Wilhelm Pieck.
Sein Werdegang eignete sich für diese Rolle besonders: Als aktives Mitglied der frühen deutschen Arbeiterbewegung war er Mitbegründer der KPD. Die Jahre der NS-Diktatur hatte er als verfolgter Kommunist in Moskau verbracht. Seine Prägung durch den Stalinismus wurde nicht öffentlich thematisiert. Stattdessen nutzte man seine „Musterbiografie“, um das Vorbild der Sowjetunion zu ehren.
Er galt als Idealbild des deutschen Kommunisten, dem auch am Bogensee nachgeeifert werden sollte.
Bildtafel mit einem Zitat von Wilhelm Pieck im sogenannten Ehrenkabinett der Schule.
„Ich hoffe, daß die Jugendhochschule, die meinen Namen trägt, recht viele junge Menschen zu Patrioten erzieht, die ihrer Heimat, ihrem Volk und der Arbeiterklasse treu ergeben sind.
Wilhelm Pieck beim Empfang einer Delegation der Jugendhochschule „Wilhelm Pieck“ am 1.12.1954“
Zitat von Erich Honecker, dem ersten Vorsitzenden der FDJ und Mitbegründer der Schule. Auch ihm fühlte sich die Jugendhochschule besonders verbunden.
„Wir versprechen Ihnen, Herr Präsident, alles daranzusetzen, daß an der Schule, die Ihren Namen trägt, die besten Funktionäre der Freien Deutschen Jugend herangebildet werden.
Dankesworte des damaligen Vorsitzenden der FDJ Erich Honecker an den Präsidenten der DDR anläßlich der Namensverleihung an die Jugendhochschule.“
In offiziellen Darstellungen der Jugendhochschule in den Medien der DDR lassen sich im Laufe der Zeit Veränderungen in ihrem Selbstbild und hinsichtlich ihrer politischen Bedeutung nachvollziehen.
Die ersten Berichte, erschienen kurze Zeit nach der Gründung der Schule, betonten die erfolgreiche Übernahme der einstigen Villa von Joseph Goebbels durch die FDJ und stilisierten die Schule als Ort des Neubeginns, an der die Jugend zur zukünftigen politischen Führung ausgebildet werde.
Im Zuge der fortschreitenden Sowjetisierung des politischen Systems in der DDR wuchs die Nähe zum sowjetischen Jugendverband Komsomol, der als Leitbild fungierte. Mit der Einführung der internationalen Lehrgänge wurde Bogensee zu einem wichtigen Aushängeschild der „internationalen Solidarität“ der DDR und ihrer Unterstützung der weltweiten kommunistischen Bewegung. Ab Mitte der 1980er Jahre erlangte die Jugendhochschule verstärkte mediale Aufmerksamkeit als Schauplatz der Besuche hochrangiger Staatsgäste der DDR.
Eine der ersten Erwähnungen findet sich 1948 in der SED-Parteizeitschrift „Neues Deutschland“. Die Hochschule befand sich zu diesem Zeitpunkt im Aufbau und kämpfte um Zuschüsse und Materialien.
1952 wurden am Bogensee deutsche Studierende verabschiedet, die zum Studium an sowjetische Hochschulen delegiert worden waren.
Im September 1986 besuchte der Präsident Nicaraguas, José Daniel Ortega Saavedra, die DDR und die Jugendhochschule.
Eine enge ideologische und schulische Anbindung an das sowjetische Vorbild prägte die Schule am Bogensee von Beginn an. Ausbildungsinhalte orientierten sich an denen der Schulen des sowjetischen Jugendverbandes Komsomol und Lehrer:innen der Jugendhochschule wurden an sowjetischen Schulen ausgebildet. Sogenannte Freundschaftszüge, regelmäßige Austauschfahrten ausgewählter Mitglieder der FDJ in die Sowjetunion, sollten die „Freundschaft“ bekräftigen.
Die Beteiligung der FDJ und der Schule am ideologischen Wettstreit der politischen Systeme wurde vor allem zeremoniell begangen. Beispielsweise empfing die Schule 1967 in einem feierlichen Akt die „Flamme der Revolution“. Das in Leningrad (heute St. Petersburg) entzündete Feuer erinnerte an die russische Oktoberrevolution von 1917. Die Aktion bediente sich der olympischen Tradition und sollte mit dem Weitertragen der Flamme eine weltweite Bewegung versinnbildlichen.
Die „Flamme der Revolution“ am Bogensee.
Praktische Einsätze
Zur Ausbildung am Bogensee gehörte das Trainieren rhetorischer Fähigkeiten, um die jeweils aktuelle politische Linie der SED überzeugend darstellen zu können. Praktische Einsätze, in denen die Fähigkeiten und der „politische Standpunkt“ unter Beweis gestellt werden mussten, gehörten als „Bewährungsproben“ ebenso zur Ausbildung.
So wurden Studierende während des Volksaufstandes am 17. Juni 1953 auf die Baustellen in Berlin geschickt, um die aufgebrachten Arbeiter:innen zu beruhigen und sie von der Notwendigkeit der politischen Maßnahmen zu überzeugen.
Auch den Bau der Berliner Mauer unterstützten die Jugendlichen vom Bogensee. Einige von ihnen wurden am Brandenburger Tor eingesetzt, um die Bauarbeiten zu überwachen, andere an Bahnhöfen stationiert, um die Berliner Bevölkerung von ihrem alltäglichen „Grenzübertritt“ per S-Bahn abzuhalten.
Ab 1954 erhielten die Studierenden ein vormilitärisches Training. Ziel war es, aus den Jugendlichen „gebildete Kämpfer“ zu machen und sie für den Militärdienst zu gewinnen.
Die Einführung des Wehrunterrichts am Bogensee erfolgte vor dem Hintergrund des sich zuspitzenden Ost-West-Konfliktes im Kalten Krieg. Ein wichtiges auslösendes Moment bildete der von der SED-Führung als Bedrohung empfundene Volksaufstand am 17. Juni 1953. Infolgedessen kam es zu erhöhten Vorsichtsmaßnahmen und einer zunehmenden Militarisierung, insbesondere der politischen Kader.
Die vormilitärische Ausbildung am Bogensee führte ab Mitte der 1960er Jahre die Gesellschaft für Sport und Technik (GST) durch. Sie war für die ostdeutschen Studierenden verpflichtend. In den 1980er Jahren umfasste das Training einen Lehrgang von mehr als zehn Tagen, zum Teil fanden die Übungen am Wochenende statt.
Zur Ausbildung gehörte auch das Schießtraining. Wer sich weigerte, eine Waffe in die Hand zu nehmen, dem drohte der Ausschluss von der Schule.
Die Übungen im Gelände imitierten das Kampfgeschehen während eines Krieges.
Studierende beim Schießtraining.
Erich Honecker am Schießstand am Bogensee.
Zur Wehrerziehung am Bogensee gehörten Exerzierübungen, Hindernis- und Geländeläufe, Krafttraining und Schießübungen. Im Theorieunterricht wurde technisches und topografisches Wissen vermittelt. In sportlichen Wettkämpfen – sogenannten Spartakiaden – traten die Studierenden gegeneinander an.
Zur FDJ-Jugendhochschule gehörten zwei Außenstellen. In der Sonderschule in Dresden-Wachwitz wurden die Studierenden, ergänzend zum Lehrgang am Bogensee, in den Bereichen Kultur und Freizeit unterrichtet.
In Bärenklau bei Oranienburg wurden ab 1964 Mitglieder der FDJ für Auslandseinsätze in den sogenannten Brigaden der Freundschaft ausgebildet. Diese von der FDJ koordinierten Einsätze verbanden Entwicklungshilfe mit ideologischer Schulung und fanden insbesondere in afrikanischen Ländern statt.
Der Regisseur Andreas Dresen begleitete 1989 eine dieser Brigaden nach Simbabwe. Sein Diplomfilm „Jenseits von Klein Wanzleben“ dokumentiert einfühlsam, aber schonungslos offen die alltäglichen Hürden im politischen und kulturellen Austausch.
Die Außenstelle der FDJ-Jugendhochschule im Schloss Wachwitz in Dresden.
Aufenthaltsräume der Außenstelle der FDJ-Jugendhochschule im Schloss Wachwitz.
Innenräume des Schlosses Wachwitz.
Innenräume des Schlosses Wachwitz.
Das Gebäude der Außenstelle der FDJ-Jugendhochschule in Bärenklau bei Oranienburg.
Die Außenstelle in Bärenklau trug den Namen „Werner Lamberz“. Lamberz, Mitglied des Zentralkomitees, kam 1978 bei einem Hubschrauberabsturz in Libyen ums Leben, wo er politische und wirtschaftliche Verhandlungen mit dem damaligen Staatsoberhaupt Muammar al-Gaddafi führte.