Die 1940er Jahre
Der sogenannte Waldhof ist nach dem Blockhaus das zweite Bauensemble, das Joseph Goebbels am Bogensee errichten ließ. Das Hauptgebäude im Landhausstil mit dem Schriftzug „Waldhof am Bogensee“ diente ihm ab Herbst 1939 als zweiter Wohn- und Arbeitssitz sowie für politische Empfänge und Veranstaltungen. In den letzten Kriegsjahren verlagerte die Familie Goebbels ihren Hauptwohnsitz an den Bogensee, um den zunehmenden Bombenangriffen auf Berlin zu entgehen.
Nach dem Krieg nutzte die Rote Armee kurzzeitig die Gebäude für ein Lazarett. Ab März 1946 richtete die FDJ ihre „Zentrale Jugendleiterschule“ zur Ausbildung von Funktionär:innen in den Räumlichkeiten ein und begann im Mai mit dem ersten sechswöchigen Lehrgang. Die Gebäude des „Waldhofes“ und das Blockhaus auf der gegenüberliegenden Seeseite nutzte die Schule sowohl für den Unterricht als auch zur Unterbringung der Jugendlichen und des Schulpersonals.
Die Terrasse des „Waldhofes“ war zum Bogensee hin ausgerichtet.
Innenansicht der Empfangshalle des „Waldhofes“ mit den versenkbaren Fenstern.
Filmsaal des „Waldhofes“. In seiner Funktion als Propagandaminister überwachte Goebbels auch die Filmproduktion. Außer zur Sichtung von Filmen nutzte er den Raum auch für Empfänge.
Eines der Nebengebäude des „Waldhofes“.
Arbeitszimmer von Joseph Goebbels im Dienstgebäude des "Waldhofes".
Auf dem großflächigen Giebel am Hauptgebäude des „Waldhofes“ hatte Goebbels das Baujahr 1939 und den Schriftzug „Waldhof am Bogensee“ anbringen lassen. Auch die Rote Armee nutzte den Giebel: Die Inschrift „СЛАВА ВЕЛИКОМУ СТАЛИНУ“ („Ruhm dem Großen Stalin“) ist auf dem Foto kaum noch zu erkennen und deutet auf das Lazarett hin, das die Rote Armee nach Kriegsende in den Räumen des „Waldhofes“ betrieben hat.
Den Schriftzug „Waldhof am Bogensee“ ließ die Schule in den ersten Jahren ihres Bestehens unverändert. Lediglich das Emblem der FDJ wurde ergänzt (im Bild angeschnitten).
Erst 1950 wurde eine neue Giebel-Inschrift angebracht: „Jugendhochschule Wilhelm Pieck. Zentralschule der F.D.J.“ Der Schriftzug „Waldhof am Bogensee“ wurde entfernt.
In den 1980er Jahren nutzte die FDJ den „Waldhof“ als Gaststätte und für Gästeappartements. Die Giebelinschrift wurde in „BOGENSEE“ geändert.
Der „Waldhof” und Joseph Goebbels
Die Bauarbeiten für den Gebäudekomplex „Waldhof am Bogensee“ begannen Anfang des Jahres 1939, zunächst ohne Baugenehmigung. Der zuständige Kreis Niederbarnim verweigerte die Erteilung einer Genehmigung, da das Gebiet unter „Landschaftsschutz“ stand und der öffentliche Weg zwischen den umliegenden Dörfern Ützdorf und Prenden erhalten bleiben sollte. Erst nach Fürsprache Hermann Görings, der in seiner Funktion als Reichsforstmeister für Naturschutzfragen zuständig war, lenkten die Behörden ein. Goebbels musste jedoch Einbußen hinnehmen. Die ursprünglich gewünschte Fläche von 850 Hektar wurde nach mehreren Verhandlungen auf 210 Hektar verkleinert und der Weg zwischen den beiden Dörfern musste für die Bevölkerung offengehalten werden. Den Baufortschritt hielt das ausstehende Genehmigungsverfahren aber nicht auf. Nur wenige Monate nach Baubeginn konnte Goebbels das Wohnhaus im Oktober 1939 beziehen. Die Baugenehmigung erfolgte nachträglich im Mai 1940.
An den Baukosten in Höhe von 2,7 Millionen Reichsmark musste sich Goebbels nicht beteiligen. Die Finanzierung ging zulasten der Universal Film AG (UFA). Auch an den Unterhaltskosten beteiligte er sich nicht. Der „Waldhof“ wurde als ein gemeinwohlorientiertes „Kulturgemeinschaftshaus“ deklariert und Goebbels kostenfrei zur Verfügung gestellt.
Beamte der Naturschutzbehörde der Provinz Brandenburg hatten durch Zufall vom Baugeschehen am Bogensee erfahren und verlangten den sofortigen Baustopp des nicht genehmigten Vorhabens im ausgewiesenen Landschaftsschutzgebiet.
In seiner Funktion als Reichsforstmeister griff Hermann Göring in die Auseinandersetzungen zwischen den Behörden und Joseph Goebbels ein und wies die Behörden an, die Baugenehmigung zu erteilen.
Die gestrichelte Linie markiert das von Goebbels gewünschte Gebiet, nachdem die ursprünglich anvisierte Fläche von 850 Hektar nach mehreren Verhandlungen verkleinert werden musste. Die durchgezogene Linie, im Schreiben von Göring als grün benannt, kennzeichnet die reduzierte, letztlich durch Göring genehmigte Fläche.
Grundriss des späteren Hauptgebäudes, das während der Bauphase noch schlicht „Haus am Bogensee“ hieß.
Der „Waldhof“ am Bogensee weist typische bauliche Merkmale des sogenannten Heimatschutzstils auf, der zu den bevorzugten Stilen im Nationalsozialismus zu zählen ist. Im Rückgriff auf traditionelle Bauweisen sowie regionale Gestaltungselemente wurde bewusst das moderne Bauen der Weimarer Republik, vertreten vor allem durch das "Bauhaus", abgelehnt und verunglimpft. Im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie wurde vor allem im Wohnungsbau ein Architekturstil favorisiert, der als bodenständig galt und eine „nationale“ kulturelle Tradition bezeugen und fortsetzen sollte. Die Bauten der führenden NS-Funktionäre, wie der „Waldhof“ von Joseph Goebbels, dokumentieren einen die NSDAP-Führung verbindenden Geschmack. Sie besaßen zudem Vorbildcharakter, insbesondere für den Villenbau. Repräsentative, staatlich genutzte Bauten hingegen wurden bevorzugt im neoklassizistischen Stil errichtet.
Den Bau des „Waldhofes“ betreuten die Berliner Architekten Hugo Constantin Bartels und Jürgen Schweitzer, die zuvor bereits Landhäuser in Berliner Villenvierteln konzipiert und umgesetzt hatten.
Trotz der rückwärtsgewandten architektonischen Gestaltung setzten Architekten und Bauherren auf moderne Technik. Zur besonderen Ausstattung des „Waldhofes“ sind die automatisch versenkbaren bodentiefen Fenster zu zählen, eine Technik, die auch im „Berghof“ Adolf Hitlers in Obersalzberg eingebaut war.
Die Namensgebung „Waldhof am Bogensee“ erinnert nicht zufälligerweise an den „Berghof“ am Obersalzberg. Goebbels demonstrierte mit dem „Waldhof“, der auch architektonisch an Hitlers privaten Wohnsitz angelehnt war, sowohl seine Verehrung für Hitler als auch seinen eigenen Machtanspruch innerhalb der NSDAP.
Joseph Goebbels führte am Bogensee seine Dienstgeschäfte als Propagandaminister, lud als Präsident der Reichskulturkammer zu festlichen Empfängen für die Filmbranche und nutzte die idyllische Kulisse zur Inszenierung seiner als vorbildlich geltenden Familie.
Kurz nach Beginn des Zweiten Weltkrieges hatte Goebbels den „Waldhof“ bezogen. Hier in der Abgeschiedenheit arbeitete er unter anderem seine Strategien aus, um die Angriffskriege auf Polen und Frankreich propagandistisch zu rechtfertigen. Die Produktion der Kino-Wochenschauen, die beschönigend von den deutschen Erfolgen an der Front berichteten, unterstand der Aufsicht seines Ministeriums. Die Begutachtung übernahm er oft persönlich im eigens eingerichteten Kinosaal am Bogensee.
Mit dem Fortschreiten des Krieges konzentrierte sich die Propaganda auf Durchhalteparolen, die Mobilisierung der „Heimatfront“ sowie darauf, Angst vor der Rache der Alliierten zu schüren. Viele der Reden Goebbels´, in denen er zu Krieg und Kampf aufrief, schrieb er in Bogensee, fernab vom Kriegsgeschehen und von den Leiden der Zivilbevölkerung.
Auch Spielfilme stuften die Nationalsozialisten als wichtiges Propagandainstrument ein, zentralisierten die Filmbranche und kontrollierten die Filmproduktion. Personalpolitisch griff die Reichskulturkammer ein, indem sie jüdischen und offen kritischen Künstler:innen die Mitgliedschaft verwehrte, was einem Berufsverbot gleichkam.
Gezielt gefördert wurden Propagandafilme wie der anti-englische Film „Ohm Krüger“ oder der Historien- und Durchhaltefilm „Kolberg“. Antisemitische, geschichtsverfälschende Filme wie „Jud Süß“ fanden verstärkt Eingang in das Kinoprogramm. Komödien wie die „Feuerzangenbowle“ sollten die Zivilbevölkerung vom Kriegsalltag ablenken.
Goebbels nutzte seine einflussreiche Position als Minister und Chef der Reichskammer. Mit persönlichen Einladungen von Filmstars und Produzenten an den Bogensee knüpfte er ein Netz von loyal ergebenen Persönlichkeiten und nutzte die Popularität der Filmleute für die eigene Imagepflege.
Zu den Schauspielern, die persönlich mit Joseph Goebbels (Mitte links) bekannt waren, zählte Emil Jannings (Mitte rechts), der den Propagandafilm „Ohm Krüger“ als Produzent und Hauptdarsteller verantwortet hatte.
Die nationalsozialistische Ideologie vertrat ein Familien- und Frauenbild, das auf die Reproduktion der sogenannten arischen Rasse ausgerichtet war und die Familie als „Keimzelle“ und Rückhalt des Nationalsozialismus inszenierte. Als Idealfamilie galt die kinderreiche Großfamilie, die finanziell und steuerlich begünstigt wurde.
Die Eheleute Joseph und Magda Goebbels mit ihren sechs Kindern wurden als nationalsozialistische Vorzeigefamilie präsentiert. Die in den Medien verbreiteten Bilder zeigten fröhlich und glücklich wirkende Kinder, oft auch vor der Kulisse am Bogensee.
Goebbels, dessen Affären regelmäßig Thema in den Boulevardmedien waren, nutzte seine medialen Auftritte, um sich als vorbildlicher Familienvater zu präsentieren.
Die sechs Kinder der Familie Goebbels wurden häufig gefilmt.
Die Kinder von Joseph Goebbels im Garten des „Waldhofes“, im Hintergrund der Bogensee.
Pressefoto der Familie Goebbels. In den Medien wurde Magda Goebbels als erste Empfängerin des „Mutterkreuzes“, einem Orden, der kinderreichen Frauen verliehen wurde, als Vorbild hochgehalten.
Die Kinder mit ihrer Kinderfrau Käthe Hübner am Bogensee, 1944
Am Bogensee lebte und arbeitete der einflussreiche NS-Propagandaminister Joseph Goebbels, hier ließ er sich in Wochenschauen sowie Fotografien als glücklicher Familienvater inszenieren und hier schrieb er zahlreiche seiner hetzerischen und menschenverachtenden Reden. Es lassen sich zahlreiche, wenn auch nur indirekte Verbindungen zu NS-Verbrechen herstellen. Bogensee ist damit ein "Täterort". Als solcher ist er aber auch ein Ort, an dem sich auf den ersten Blick keine Schrecken zeigen – ganz im Gegenteil wirkt er eher harmlos. Wie soll mit diesem Ort umgegangen werden?
Abreißen ist eine häufige Forderung. Hitlers „Berghof“ beispielsweise wurde Anfang der 1950er Jahre gesprengt. Als Historikerin spreche ich mich jedoch deutlich gegen einen Abriss aus und plädiere dafür, das Spannungsfeld zwischen NS-Verbrechen und Idylle, das sich am "Waldhof" am Bogensee zeigt, im Sinne der Erinnerungskultur produktiv zu nutzen. Dabei gilt es, die Rolle und Funktion von Joseph Goebbels einzuordnen: seine Selbstinszenierung als Teil der NS-Propaganda, die einen bestialischen Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft salonfähig werden ließ und zur Begeisterung für einen „Totalen Krieg“ aufrief.
Der „Waldhof” wird FDJ-Schule
Den Zweiten Weltkrieg hatte das gesamte Anwesen ohne große Schäden überstanden. Die Rote Armee nutzte die Gebäude daher vorübergehend als Lazarett.
Im März 1946 zog der brandenburgische Provinzialjugendausschuss in die Räume am Bogensee. Die Jugendausschüsse waren zu dieser Zeit noch paritätisch mit Mitgliedern der SPD und der KPD besetzt. Ihr Ziel war es, die „Umerziehung und Bewusstseinsänderung der Kriegs- und Nachkriegsjugend“ zu befördern. Im Zuge der Gründung der SED im April 1946 und der unter Zwang erfolgten Vereinnahmung der SPD galt auch in den Jugendorganisationen das Grundprinzip der unantastbaren Führungsrolle der SED.
Bereits im April übernahm das zentrale Organisationskomitee der kurz zuvor gegründeten FDJ die Gebäude am Bogensee und richtete hier ihre „Zentraljugendschule“ zur Ausbildung von Führungskadern für den Jugendverband ein. Mitte Mai begann für gut 60 Jugendliche der erste sechswöchige Lehrgang. Zu den Dozenten gehörten unter anderem die SED-Funktionäre Wilhelm Pieck, Anton Ackermann, Wolfgang Leonhard sowie Otto Grotewohl.
Zu den ersten Dozenten am Bogensee gehörte der Vorsitzende der SED, Otto Grotewohl, der über aktuelle politische Themen in der SBZ sprach.
Die FDJ nutzte die Räume im „Waldhof“ und das noch vorhandene Inventar weiter. Intakte Räumlichkeiten waren in der Nachkriegszeit ein rares Gut, zudem wussten die Lehrenden und Lernenden die Vorzüge des idyllisch gelegenen Areals zu schätzen, dessen Ausstattung und attraktive Lage auch als Bewerbung der Schule dienten. Die Vorlesungen fanden in der ehemaligen Empfangshalle des „Waldhofes“ statt.
Auch Papier war in der Nachkriegszeit ein rares Gut. Formulare wie dieses Registerblatt des NS-Propagandaminsteriums wurden in der Schule nachgenutzt.
Aus dem Bericht des ersten Lehrgangs, 1946
Vertrag zur Übergabe des „Waldhofes“ an die FDJ, 1.3.1946
Das Inventar von Joseph Goebbels nutzte die Schule weiter. Die Übereignung der Einrichtungsgegenstände an die FDJ wurde vertraglich festgehalten.
Der Globus aus dem einstigen Büro von Joseph Goebbels stand nun im Vorlesungssaal und wurde auch im Unterricht eingesetzt.
Der Augenzeuge, 1947
Die Kino-Wochenschau „Der Augenzeuge“ berichtete im August 1947 von der Schule am Bogensee und betonte den ideologischen Neubeginn im „Waldhof“. „Einen klaren Blick für unsere Welt und für die politischen und wirtschaftlichen Zusammenhänge will unsere neue Jugend gewinnen“, beginnt die Sprecherin mit der Vorstellung der Schule. Im Bild ist der Globus von Goebbels zu sehen, dessen Inbesitznahme durch die FDJ den Beginn einer neuen politischen Zeitrechnung symbolisieren soll.
Standbild aus der Kino-Wochenschau „Der Augenzeuge“, 1947/66; Produktion: DEFA; Quelle: Progress Film GmbH.
Mit freundlicher Unterstützung der PROGRESS Film GmbH.
Die gesamte DEFA-Wochenschau ist kostenfrei einsehbar auf: www.progress.de.
Georg Pisarek (1929–1994), Sohn des Pressefotografen Abraham Pisarek, nahm zwischen 1946 und 1948 an mehreren Lehrgängen an der FDJ-Schule am Bogensee teil, seine Kamera stets im Gepäck. Dank seiner fotografischen Leidenschaft ist die Frühzeit der Schule besonders ausführlich im Bild festgehalten. Pisareks Fotografien zeigen die Räumlichkeiten der noch jungen Schule und geben zugleich einen atmosphärischen Eindruck vom Schulalltag.
Die Stimmung der Fotografien entspricht der politischen Überzeugung des jungen Fotografen, der an den Bogensee gefahren und in die FDJ eingetreten sei, um „das Rüstzeug gegen eine noch so recht in der nazistischen Ideologie befangene Klasse“ zu erwerben, wie er später in einem Lebenslauf erklärte.
Ob seine Bilder, die weder Unstimmigkeiten noch Missstände zeigen, lediglich für die private Verwendung vorgesehen waren oder veröffentlicht werden sollten, ist nicht bekannt.
Der erste Lehrgang 1946. Der Aufenthalt in der Schule am Bogensee bot den delegierten Jugendlichen die Möglichkeit, dem Alltag der Nachkriegszeit zu entfliehen und neue Freundschaften zu schließen.
Eine Wandzeitung informierte über das tagesaktuelle Geschehen und präsentierte Texte der Teilnehmenden zu politischen Themen.
Die Räume im „Waldhof“ wurden von der Schule für ihre Zwecke umgenutzt, so auch das einstige Kaminzimmer von Goebbels.
Jugendliche hinter dem Hauptgebäude des „Waldhofes“
Beim Baden im nahe gelegenen Bogensee.