Studieren an der Jugendhochschule
Der Schwerpunkt des Unterrichtes an der FDJ-Jugendhochschule lag auf der ideologischen Ausbildung angehender politischer Kader für die Jugend- und Pionierverbände. Das Fächerangebot variierte im Laufe der Zeit. Die Beschäftigung mit den „Klassikern des Marxismus-Leninismus“ bildete jedoch durchgehend den Kern des Studiums
Ab 1958 besuchten auch Jugendliche aus den mit der DDR „befreundeten“ Ländern Osteuropas, Afrikas, Lateinamerikas und Asiens, aber auch aus westlichen Ländern wie der Bundesrepublik Deutschland die Schule. Unter ihnen waren Mitglieder von Befreiungsbewegungen wie dem Afrikanischen Nationalkongress (ANC) oder der nicaraguanischen Nationalen Befreiungsfront der Sandinisten (FSLN). Mit Beginn der sogenannten internationalen Lehrgänge kamen jährlich bis zu 500 Jugendliche an den Bogensee. Der Lehrkörper wuchs stetig an, sodass Mitte der 1980er Jahre etwa 70 Dozent:innen sowie 40 Dolmetscher:innen an der Schule arbeiteten.
Ausgehend von dem Postulat, dass es sich bei der marxistisch-leninistischen Ideologie um eine Wissenschaft handele, wurden die politischen Bildungseinrichtungen der SED und der DDR-Massenorganisationen wie der FDJ zu Hochschulen aufgewertet. Ein wissenschaftlicher Abschluss konnte hier jedoch nicht erworben werden.
Am Fuße der Freitreppe zum Lektionsgebäude befand sich ein Appellplatz, der für politische Kundgebungen und Empfänge von Gästen aus dem Ausland oder aus den Reihen der DDR-Führung genutzt wurde.
Der Appellplatz wurde von einem Fries gerahmt, in dessen Mitte ein Relief an den Namensgeber der Schule Wilhelm Pieck erinnerte.
1986 beging die Schule ihr 40. Gründungsjubiläum, an dem das Areal entsprechend beflaggt wurde.
Der Lehrplan beinhaltete ab den späten 1970er Jahren auch das Fach Informatik mit Kursen zur Programmiersprache BASIC. Das Computerkabinett wurde 1987 von DDR-Verteidigungsminister Armeegeneral Heinz Keßler (3. v. l.) offiziell übergeben.
Die Räume der Bibliothek im Lektionsgebäude im April 1990.
Das Foyer in der ersten Etage des Lektionsgebäudes.
Blick auf die Bühne im Großen Saal des Lektionsgebäudes.
Studieren am Bogensee
Als Massenorganisation benötigte die FDJ spätestens mit der Gründung der DDR politisch geschultes Personal. Die Jugendhochschule am Bogensee übernahm die Ausbildung entsprechender Kader. An die Jugendhochschule wurden bevorzugt Jugendliche delegiert, die sich bereits in der politischen Arbeit im Jugendverband „bewährt“ hatten und die über „notwendige[n] politisch-ideologische[n] sowie moralische[n] Voraussetzungen“ verfügten. Ziel war es, wie es in einer Selbstdarstellungsbroschüre hieß, „die Überzeugungen und Charaktereigenschaften von Berufsrevolutionären herauszubilden“. Die Absolvent:innen übernahmen nach dem Studium in Bogensee Leitungsfunktionen im Zentralrat der FDJ oder den Bezirks-, Kreis- und Grundorganisationen des Jugendverbandes. Einige von ihnen verblieben als Dozent:innen an der Schule.
Auszüge aus der Schulverfassung von 1948.
Zitat aus der Schulordnung von 1955.
Zitat aus dem Lehrprogramm für den DDR-Lehrgang von 1987.
Die Lehrinhalte der Jugendhochschule veränderten sich im Laufe der Zeit und wurden an die jeweiligen politisch-ideologischen Richtlinien der SED angepasst. Der erste, sechswöchige Kurs begann im Mai 1946, vorwiegend mit Teilnehmer:innen und Dozent:innen aus der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Es nahmen jedoch auch einige wenige Jugendliche aus den westlichen Besatzungszonen teil. Die Referent:innen waren zumeist Mitglieder der SED. Anfänglich wurden auch Mitglieder anderer Parteien oder der Kirchen eingeladen. Doch diese überparteilichen Ansätze endeten mit der Durchsetzung des Führungsanspruches der SED.
Mit der Gründung der DDR 1949 wurde die Schule zur wichtigsten Ausbildungsstätte von Jugendfunktionär:innen ausgebaut. Die Lehrgänge wurden auf die Dauer von einem Jahr ausgeweitet. Das Studium orientierte sich an der Ausbildung im sowjetischen Jugendverband „Komsomol“.
Nach und nach etablierten sich feste Strukturen für die Ausbildung. Es wurden fünf Lehrstühle gegründet. Neben der marxistisch-leninistischen Theorie wurde die Geschichte der Arbeiter- und Jugendbewegung unterrichtet. Praktische FDJ-Arbeit, Module in Rhetorik, Körpererziehung und Informatik ergänzten mit der Zeit den Lehrplan.
Im ersten Lehrgang 1946 lag der Unterrichtsschwerpunkt auf der Verbandsarbeit, gefolgt von Geschichte und „aktuellen Aufgaben“. Im Gegensatz zu späteren Lehrgängen waren die Inhalte noch nicht auf die Lehren des Marxismus-Leninismus beschränkt.
Zu den ersten Referentinnen und Referenten gehörte neben anderen der spätere Ministerpräsident der DDR Otto Grotewohl. Häufiger Redner war auch der spätere Präsident der DDR und Namensgeber der Schule Wilhelm Pieck. Wolfgang Leonhard, der später im Westen zu einem der heftigsten Kritiker des SED-Regimes avancierte, hatte zuvor ebenfalls am Bogensee unterrichtet.
Wolfgang Leonhard im Gespräch mit Studierenden am Bogensee.
Wilhelm Pieck (2. v. l. in der ersten Reihe) mit Lehrgangsteilnehmer:innen vor dem Unterrichtsraum im ehemaligen „Waldhof“.
Die ersten Lehrgänge standen noch ganz im Zeichen der in der Nachkriegszeit herrschenden chaotischen Zustände und zwangen zu Improvisationen. Beispielsweise sagten Referent:innen oft aufgrund der schlechten Verkehrsanbindung kurzfristig ab.
Die Lehrgangsteilnehmer:innen hingegen wohnten auf dem Gelände am Bogensee. Vom morgendlichen Wecken um 7 Uhr bis zur abendlichen Bettruhe um 22 Uhr verbrachten sie ihren Alltag gemeinsam.
Die Stundenpläne gaben nicht nur die Unterrichtszeiten vor, sondern auch die Freizeitgestaltung. Sportliche Aktivitäten gehörten zum Lehrplan.
In den ersten Lehrgängen begann der Tag mit gemeinsamem Frühsport. Die Teilnehmerinnen auf dem Foto stehen vor dem Eingang zum „Waldhof“, der ab 1946 als Seminar- und Wohngebäude diente.
Das Studium an der Schule beinhaltete neben Vorlesungen und Seminaren auch die verpflichtende Teilnahme an politischen Veranstaltungen, Arbeitseinsätzen und der vormilitärischen Ausbildung. Viele dieser Aktivitäten fanden am Wochenende statt. In den 1980er Jahren umfasste das Pensum mehr als 650 Unterrichtseinheiten pro Lehrjahr.
Die Lehre konzentrierte sich auf die Beschäftigung mit den marxistisch-leninistischen Klassikern und der Geschichte der Sowjetunion. Ergänzt wurde der Unterricht durch aktuelle und internationale Themen wie die Unabhängigkeitskämpfe in den kolonialisierten Gebieten in Afrika und Asien, die Rolle der Vereinten Nationen und den Rüstungswettlauf im Kalten Krieg.
Auszüge aus dem Dokumentarfilm „Die Bogenseer“
Für das 40. Jubiläum der Schulgründung (1986) gab die FDJ einen Propagandafilm in Auftrag. Der Regisseur Klaus Wendler zeichnete in „Die Bogenseer“ ein Bild der Schule ganz im Sinne ihres politischen Auftrages. Ziele und Selbstverständnis der FDJ-„Kaderschmiede“ stehen im Mittelpunkt. Kritische Töne oder einen differenzierten Blick in das Innenleben der Jugendhochschule sucht man vergebens.
Der Film „Die Bogenseer“ ist einsehbar unter: https://progress.film/record/23991
Vorlesungen machten einen Großteil des Unterrichts an der Jugendhochschule aus. Im Hörsaal des Lektionsgebäudes fanden mehr als 500 Studierende Platz.
Sprecher: „Hauptfeld der Bildungs- und Erziehungsarbeit an der Jugendhochschule Wilhelm Pieck ist der Unterricht. Rund 800 Stunden nach dem Einführungszyklus. Seine wichtigsten Formen: Lektionen, Lehrgespräche, Argumentationsübungen, die Treffpunkte Verbandspraxis und die Seminare. Klausuren und Abschlussprüfungen geben Aufschluss über die Erfüllung des Lehrprogramms.“
Ausgewählte Studierende des Lehrganges 1986/87 kommen als Protagonisten im Film zu Wort. Ihre Äußerungen vermitteln scheinbar eine persönliche Sichtweise, während der Sprechertext die Geschichte der FDJ-Schule am Bogensee und die tagesaktuellen Schulthemen politisch und ideologisch rahmt.
O-Ton eines Schülers: „… Dass bei einer sozialistischen Revolution zum Beispiel, dass da die Machtverhältnisse zu ihren Gunsten geklärt werden und damit auch im Verhältnis zu der alten Macht das Privateigentum an Produktionsmitteln, dass das beseitigt wird. Und damit werden auch die Grundlagen für eine friedliche Entwicklung innerhalb des jeweiligen Staates geschaffen. Die Bourgeoisie ist bestrebt …“
Sprecher: „Der Sozialismus stellt den Frieden an erste Stelle, erklärte Erich Honecker auf dem 11. Parteitag der SED. In den Lehrgesprächen und Seminaren wird der Meinungsstreit über die Grundfragen unserer Epoche mit Leidenschaft und Tiefe geführt. Als Helfer und Kampfreserve der Partei macht die Freie Deutsche Jugend die Prinzipien des Marxismus-Leninismus zur Grundlage ihrer Arbeit. Was bedeutet Koalition der Vernunft? Wie führt die Partei die Arbeiterklasse und die gesamte Gesellschaft? Welche Rolle spielen die Persönlichkeiten in der Geschichte?“
Die Studierenden erlernten an der Jugendhochschule rhetorische Fähigkeiten, um mithilfe des ideologischen Vokabulars, den sogenannten Aufbau des Sozialismus in der DDR argumentativ vertreten und verteidigen zu können. Die ausgewählte Szene betont Ernsthaftigkeit und Eifer der Diskutierenden.
Lehrer: „Wir haben uns heute mit einem sehr interessanten und vielschichtigen Problem zu befassen, der Rolle der Volksmassen und der Persönlichkeit in der Geschichte. Wir setzen damit eigentlich unsere Betrachtungen über den historischen Materialismus fort.“
Schülerin: „…wir hatten Zirkel zum Studium der Thälmann Biografie. Der war ein einfacher Arbeiter, ist auch in sehr armen Verhältnissen aufgewachsen. Und ist also in der Volksmasse aufgewachsen. Und ist aber zum Führer der Volksmasse geworden, indem er durch bestimmte Fähigkeiten, die er hatte, durch Mut und Disziplin, Standhaftigkeit und das Streben nach Bildung, der Drang danach [sic], war er in der Lage, die Volksmassen zu führen. Er hat eben erkannt, was notwendig war damals in Deutschland, wie die Entwicklung da vorangetrieben wurde, von welchen Kreisen. Er hat es erkannt und konnte in dem Moment durch Versammlungen und Kundgebungen die Massen davon ... Na, da konnte er dadurch die Massen eben aufklären und wurde dadurch zum Führer, weil er eben erkannt hat, was die anderen vielleicht noch nicht so richtig erkannt haben.“
Lehrer: „Micha (?), würdest du eine ähnliche Beurteilung [sic]?“
Schüler: „Sie müssen über die Fähigkeit verfügen, also zumindestens eine Klasse und deren Interessen, deren Grundinteressen, besonders klar zu erkennen und diese besonders standhaft zu vertreten. Das wirst du ja bei Napoleon sehen. Das kannst du eigentlich bei jedem Großen der Geschichte nachweisen. Dass [sie] genau in dem richtigen Augenblick in Aktion traten und, ich sag mal auch so, Kräfte konzentrieren konnten, auf sich und schließlich, letztendlich auch in geschichtliche Aktion umwandeln konnten.“
Lehrer: „Das ist mir ein bisschen schwach, was du jetzt sagst. Weil die Cornelia hat ja an sich die Sache schwerpunktmäßig sozusagen dargelegt anhand der besonderen Fähigkeiten, der besonderen Charaktereigenschaften von Ernst Thälmann zum Beispiel. Hängt das wirklich nur an dem Erkennen?“
Schüler: „NEIN! Ich hab ja nicht erkennen, sondern standhaft vertreten [sic]. Das habe ich doch schon formuliert und das ist ja das Entscheidende. Genau zu dem richtigen Zeitpunkt in Aktion treten zu können.“
Lehrer: „Du bindest das wieder an Standpunkt, an Charakterfragen. Mir geht es um den tieferen Zusammenhang zwischen Rolle der Volksmassen und Rolle der Persönlichkeit …“
Schüler: „Das binde ich doch gar nicht an den Charakter. Der Charakter ist mir doch völlig Wurst. Die können ja sogar teilweise Leute sein, die also vom Charakter her einiges zu Wünschen übrig lassen. Aber wenn sie genau das vertreten, was in der damaligen Zeit unter den konkret historischen Bedingungen vertreten werden musste, dann wurden sie zu Führern, zu Persönlichkeiten.“
Die hochschuleigene Bibliothek befand sich im Erdgeschoss des Lektionsgebäudes. Mitte der 1980er Jahre zählte ihr Bestand über 50.000 Bände und knapp 80 Zeitschriften und Zeitungen. Klassensätze marxistischer Literatur wie die "Ausgewählten Werke" von Marx und Engels sowie Lenin und Broschüren mit den Beschlüssen der SED machten einen Großteil der Studienbibliothek aus. Dennoch wurden die Studierenden dazu angehalten, ihre Arbeitsexemplare im schuleigenen Buch-Shop zu kaufen.
Neben der Pflichtlektüre hielt die Bibliothek auch einen größeren Bestand an Belletristik bereit. Zu den beliebtesten Büchern der 1980er Jahre gehörte Umberto Ecos historischer Roman „Der Name der Rose“, der innerhalb von zwei Jahren mehr als 40 Mal verliehen wurde. Eine Ausgabe des Buches „Wie der Stahl gehärtet wurde“ des sowjetischen Schriftstellers Nikolai Alexejewitsch Ostrowski mit einem Vorwort von Erich Honecker fand hingegen nicht die erwünschten Leser:innen, wie der verpackte Zustand der zahlreichen Exemplare des Buches verrät.
Neben Seminaren, Vorlesungen und politischen Veranstaltungen fanden sich in den Stundenplänen auch feste Zeiten für das Selbststudium oder die individuelle Prüfungsvorbereitung. Auch fremdsprachige Bücher, insbesondere russische Literatur, konnten in der Bibliothek ausgeliehen werden.
Buchausgabe der Bibliothek, 1960er Jahre. Folgt man den Klagen der Bibliotheksleitung, wurden am Bogensee wie auch in anderen öffentlichen Bibliotheken Leihfristen überschritten, Mahnungen ausgestellt und Bücher zum Opfer von „klebrigen Fingern“.
Die Einrichtungen der SED und der DDR-Massenorganisationen wurden bevorzugt mit Büchern und Zeitschriften versorgt. In der Bevölkerung gefragte und im Buchhandel besonders rare Titel wie die Lizenzausgaben westlicher Autoren oder Werke, die einen offeneren Blick auf die Geschichte und Gegenwart des Sozialismus boten, waren hier durchaus leichter zu bekommen. Den Kadern von Partei und Jugendorganisation traute man eher zu, diese „richtig einzuordnen“. Auch in den Beständen der Bibliothek der Jugendhochschule fanden sich deshalb neben der zu erwartenden „linientreuen“ politischen Literatur und Belletristik auch eher untypische - und von den Jugendlichen besonders nachgefragten - Bücher. Dazu zählten zum Beispiel die theoretischen Arbeiten Antonio Gramscis oder die kritische Auseinandersetzung mit dem kommunistischen Widerstand von Peter Weiss. Diese spielten in der Lehre jedoch kaum eine Rolle.
Karteikarte aus dem Katalog der Bibliothek der Schule zu Peter Weiss, „Ästhetik des Widerstands“, Ausgabe von 1987.
Karteikarte aus dem Bibliothekskatalog zu Antonio Gramsci, Briefe aus dem Kerker. Aufbewahrt werden die Karteien noch heute in den originalen Kästen.
Im Zuge der Abwicklung der Jugendhochschule wurden die Lehrbücher der „Studienbibliothek“ in den 1990er Jahren weitestgehend entsorgt, während die belletristische Literatur der „Allgemeinen Bibliothek“ erhalten und bis ins Jahr 2000 in den Kellern von Bogensee eingelagert blieb. Im Ergebnis einer Begutachtung des Bestandes nahmen die Verantwortlichen der „Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR beim Bundesministerium des Innern“ (UKPV) und der „Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben“ (BvS, Nachfolgeinstitution der Treuhand) Abstand von dem ursprünglich in Erwägung gezogenen Verkauf und der damit einhergehenden Auflösung des Bestandes.
Der erhalten gebliebene Teil der Bibliothek befindet sich heute samt Katalog und weiteren Medien wie Tonbändern, Schallplatten, Dia-Serien sowie Kartenmaterial im Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR in Eisenhüttenstadt. Dort hat der Bestand inzwischen den Status eines wichtigen kulturhistorisches Dokumentes erlangt.
Russischsprachige Literatur aus dem Bestand der Bogensee-Bibliothek.
Die originalen Karteikästen befinden sich heute im Dokumentationszentrum für Alltagskultur der DDR in Eisenhüttenstadt.
Das Internationale Studium am Bogensee
Seit 1958 gab es an der Jugendhochschule Internationale Lehrgänge, in denen Funktionär:innen aus „befreundeten“ Ländern Osteuropas, Afrikas, Lateinamerikas und Asiens sowie aus „westlichen“ Ländern studierten. Die FDJ trug deren Aufenthalts- und Reisekosten und zahlte den Teilnehmer:innen ein Stipendium. Bevorzugt wurden Mitglieder kommunistischer Organisationen nach Bogensee eingeladen.
Die Lehrgänge wurden nach Regionen (Afrikalehrgang, Südamerikalehrgang etc.) zusammengefasst. In der Regel dauerten sie ein ganzes Jahr. Für Teilnehmer:innen aus westeuropäischen und kapitalistischen Ländern wurden auch Kurzlehrgänge und „Sommerseminare“ angeboten.
Ziel der internationalen Ausbildung war es, Beziehungen mit anderen Jugendorganisationen sowie sozialistische Netzwerke auszubauen und den Teilnehmer:innen die „Errungenschaften des Sozialismus in der DDR“ zu vermitteln. Mit dem Austausch verbanden SED und FDJ auch ein außenpolitisches Kalkül im Ringen der DDR um internationale Anerkennung.
Bereits ab 1948 waren immer wieder auch ausländische Studierende in Bogensee. Die reguläre Ausbildung der Funktionäre von „befreundeten“ Organisationen begann jedoch erst zehn Jahre später. Im Januar 1958 bildeten jeweils drei Delegierte aus der Sowjetunion und aus Ungarn den ersten internationalen Lehrgang.
Am 1. September 1989 begann der letzte internationale Lehrgang an der Jugendhochschule. Die Einladung von Studierenden aus dem Ausland in die DDR bedeutete einen hohen bürokratischen Aufwand für alle Beteiligten. Sowohl die Auswahl der Delegierten als auch deren Einreise folgten strengen Vorgaben. Die Flugreisen der ausländischen Lehrgangsteilnehmer:innen wurden durch die DDR über „offene Rufpassagen“ finanziert.
Im Laufe der Jahre wurde das Lehrprogramm des internationalen Lehrgangs immer wieder modifiziert und an die Herkunft der Delegierten angepasst. Es orientierte sich an den politischen Systemen der Heimatländer und es wurde zwischen kapitalistischen, sozialistischen und den sogenannten national befreiten Ländern unterschieden.
Die Anzahl wie auch die Herkunftsländer der Delegierten schwankten über die Jahrzehnte stark. Die ersten beiden Lehrgänge besuchten nur wenige Studierende. Sie kamen aus der Sowjetunion, Ungarn, Bulgarien und Finnland.
Mit der Zeit erweiterte die FDJ ihre Kontakte zu Jugendverbänden aus der ganzen Welt. In den 1960er Jahren kamen insbesondere Studierende aus Afrika und Südamerika zum Beispiel aus Kolumbien, Chile, Tansania und Kamerun. Ab den 1970er Jahren nahm die Zahl der Studierenden aus arabischen Ländern, beispielsweise dem Jemen und dem Irak, zu. In den 1980er Jahren kamen zunehmend Studierende aus Afghanistan, Kambodscha und Indien.
Kurzlehrgänge und Sommerseminare besuchten Delegierte aus Griechenland und Irland, aus Westdeutschland und Österreich.
Für den letzten Lehrgang 1989/90 wurden insgesamt mehr als 250 Studierende aus über 60 Ländern eingeladen.
(Ländernamen angepasst)
Die Grafiken zeigen die Herkunftsländer oder Organisationen der Studierenden des Internationalen Lehrganges für die Zeiträume von 1958 bis 1968, 1969 bis 1979 und 1980 bis 1989 sowie eine Übersicht der Herkunft der Teilnehmer:innen der Kurz- und Sommerlehrgänge. Im Laufe der Zeit verschoben sich die regionalen Schwerpunkte parallel zur außenpolitischen Linie der DDR.
Obwohl an die Jugendhochschule nur Jugendliche delegiert wurden, die Mitglieder sozialistischer oder kommunistischer Jugendverbände waren, kam es zu politischen Differenzen an der Schule. Beispielsweise gab es Spannungen zwischen Delegierten der syrischen, palästinensischen sowie israelischen Jugendorganisationen, über die sich das Ministerium für Staatssicherheit berichten ließ.
Ihren internationalen Charakter unterstrich die Jugendhochschule mit einer Vielzahl von offiziellen Fotografien des Aufenthaltes der ausländischen Studierenden. In den DDR-Medien präsentierte sich die Einrichtung als ein Ort, an dem Jugendliche aus aller Welt das „Rüstzeug für den sozialistischen Kampf“ erwarben.
Eine der fotografischen Dokumentationen erstellte die Fotografin Eva Brüggmann im Mai 1962. Sie entstand im Auftrag der staatlichen Bildagentur des Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienstes der DDR (ADN). Die mitgelieferten Bildlegenden lauteten (Auszug): „Afrikanische Freunde studieren an der FDJ-Hochschule […]. 30 junge Freunde aus afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern besuchen gegenwärtig einen sechsmonatigen Lehrgang […]. Die Freunde […] haben sich schon gut eingelebt und fanden guten Kontakt zu den Menschen der DDR.“
1961 nahmen erstmals 18 Studierende aus Mali, Guinea und Ghana an einem Lehrgang an der Jugendhochschule teil. Zum zweiten Lehrgang 1962 kamen bereits 32 Delegierte aus 12 verschiedenen afrikanischen Ländern: Angola, Guinea-Bissau, Namibia, Simbabwe, Mali, Nigeria, Tansania, Ghana, Kenia, Kamerun, Senegal und Niger.
(Ländernamen angepasst)
Die Treppe vor dem Lektionsgebäude war ein bevorzugtes Fotomotiv. Die Perspektive fing so den Schriftzug „JUGENDHOCHSCHULE WILHELM PIECK“ mit der markanten Figurengruppe „Jugend voran“ ein. Die originale ADN-Bildbeschriftung lautete: „Soeben ging eine Lektion zu Ende und jetzt geht es zum Selbststudium in den gemütlichen Räumen des Internats.“
Das Lehrmaterial, das auch für die internationalen Lehrgänge genutzt wurde, war überwiegend in deutscher Sprache verfasst. Zwar bemühte sich die Schule, Materialien über die Länder der Gäste in der jeweiligen Landessprache zur Verfügung zu stellen, doch blieb das Dolmetschen über Kopfhörer ein wichtiges Element im Unterricht. Es gab mehrere Sprachkabinette im Lektionsgebäude, in denen die ausländischen Student:innen unterrichtet wurden.
Der originale ADN-Text zu diesem Foto lautete: „Um immer zu wissen, was in der Welt geschieht, lesen die Freunde aus Mali regelmäßig ‚L'Humanité‘.“ – Die Jugendhochschule stellte knapp 40 ausländische Zeitungen und Zeitschriften zur Verfügung. Darunter auch die Parteizeitung der französischen Sozialisten.
Die „Freunde“, wie die Teilnehmer:innen der Internationalen Studiengänge genannt wurden, hatten eigene Lehrpläne und wurden getrennt von den deutschen Jugendlichen unterrichtet. Sie beschäftigten sich ebenfalls mit dem Marxismus-Leninismus, der Geschichte der Arbeiterbewegung und der praktischen Jugendarbeit.
Ziel des Studiums war es, ihnen den Aufbau des Sozialismus in der DDR als vorbildhaft zu präsentieren. Dazu dienten auch Exkursionen in Städte der DDR, Besuche politischer Veranstaltungen sowie Praktika in Industrie und Landwirtschaft.
Die ausländischen Studierenden hatten ein ähnliches Pensum wie ihre deutschen Kommiliton:innen zu absolvieren. Der inhaltliche Schwerpunkt lag auf der Vermittlung der Erfolge in der Sowjetunion und in der DDR und der Rolle der Jugend am Aufbau des „Sozialismus“.
Das Tafelbild zur „Allgemeinen Krise des Kapitalismus“ beschwor einen seit den 1950er Jahren steigenden Anteil der sozialistischen Länder an der Weltproduktion, mit dem die kapitalistischen Länder schließlich eingeholt würden. Die Überzeugung, dass der Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus in den westlichen Ländern überlegen sei, bildete eine der ideologischen Grundlagen des Unterrichts.
Einen Großteil ihrer Zeit verbrachten die ausländischen Studierenden mit Exkursionen. Zu häufigen Zielen gehörten Ost-Berlin als Hauptstadt der DDR, die „Nationale Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald“ bei Weimar sowie die Hafen- und Werftanlagen in Rostock.
Funktionäre der ghanaischen Pionierorganisation im Gespräch mit dem Sekretär der Deutsch-Afrikanischen Gesellschaft der DDR bei einer Dampferfahrt mit der „Weißen Flotte“ 1962 in Ost-Berlin. Auf ihren Exkursionen durch die DDR sollten die internationalen Studierenden das Leben im Land kennenlernen. Ihre „freundschaftlichen“ Begegnungen mit der Bevölkerung und mit Vertretern der DDR waren genau geplant und wurden für die Medien dokumentiert.
Auch der anlässlich des 40. Jahrestages der Jugendhochschule als Auftragswerk produzierte Dokumentarfilm „Die Bogenseer“ thematisierte den „Internationalismus“ der Jugendhochschule und zeigte die damit verbundene politische Symbolik.
Zusammen mit ihren deutschen Kommiliton:innen wurden die internationalen Studierenden zur Arbeit in DDR-Betrieben eingesetzt, um den „Alltag in der Produktion“ kennenzulernen. Die Ost-Berliner Firma „Berlin Kosmetik“ stellte kosmetische Produkte her, unter anderem das Deodorant „dur“, das hier von Studierenden aus Bogensee für den Vertrieb vorbereitet wird.
Die internationalen Delegationen lernten am Bogensee auch praktische Fähigkeiten, die ihnen in ihrer späteren politischen Arbeit helfen sollten. Dazu gehörten die Arbeit im Fotolabor und die Vervielfältigung von Bildmaterial für die politische Propaganda. Viele Studierende fotografierten während ihres Aufenthaltes an der Schule auch ihren Alltag, dokumentierten ihre Ausflüge und entwickelten diese Aufnahmen in der schuleigenen Dunkelkammer.