Rot-Gelbe Karte des Geländes am Bogensee in Holzaufsteller
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Informationstafel des Internationalen Bundes, 1996; Quelle: BLDAM.

Die 1990er Jahre

Mit dem Ende der DDR und der Auflösung der FDJ im Jahr 1990 brachen nicht nur die politischen und ideologischen, sondern auch die finanziellen Grundlagen der Jugendhochschule weg. Daraufhin eröffneten ehemalige Mitarbeiter:innen auf dem Gelände zunächst ein Bildungs- und Tourismuscentrum, das ab 1991 vom Internationalen Bund für Sozialarbeit (IB) als Kongress-Centrum mit angeschlossenem Ausbildungsbetrieb weitergeführt wurde.

Seit 1999 stehen die Gebäude jedoch größtenteils leer. Auf dem Gelände finden sich keine Informationen zu seiner wechselvollen Geschichte, was die Legendenbildung befördert. Ein zukunftsfähiges Nutzungskonzept für den Ort fehlt.

Historische Fotografien
Haupteingang FDJ-Lektionsgebäude am Bogensee
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Lektionsgebäude, 1996; Quelle: BLDAM.

Der IB tauschte die Embleme der FDJ und der Jugendhochschule aus, beflaggte unter anderem das Lektionsgebäude neu und benannte es in „Haus Berlin“ um.

Parkanlage, Lektionsgebäude der FDJ-Hochschule am Bogensee
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Lektionsgebäude, 1996; Quelle: BLDAM.

Die Grünanlagen im Innenhof blieben als Teil des Hotel- und Kongress-Centrums erhalten.

Tischtennisplatten vor Goebbels Waldhof am Bogensee
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„Waldhof“/ „Landhaus am Bogensee“, 1996; Quelle: BLDAM.

Das Hauptgebäude des „Waldhofes“ wurde zum „Landhaus am Bogensee“. Der IB richtete hier ein Restaurant mit Ausbildungsbetrieb für Servicekräfte ein.

Parkanlage vor Kulturhaus der FDJ-Schule Wilhelm Pieck am Bogensee
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Ehemaliges Kulturhaus, nach 1991; Quelle: Zentralarchiv des Internationalen Bundes (IB).

Das ehemalige Kulturhaus erhielt den Namen „Haus Bogensee“.

Um- und Aufbruch am Bogensee

KOMMENTAR Anja Tack: Die Jugendhochschule im Herbst 1989
Späte Reformen und die Flucht der Studierenden

Der politische Aufbruch des Herbstes 1989 erreichte die Jugendhochschule zeitverzögert und in abgeschwächter Form. Abwechselnd prägten Beharrungskräfte und Reformbereitschaft den Kurs der Schule in der Zeit der „Wende“. Noch am 6. Oktober 1989 nahmen Lehrer:innen und Studierende vom Bogensee am FDJ-Fackelzug am Vorabend der Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR in Berlin teil.

Doch immer öfter äußerten Studierende Zweifel an der Sinnhaftigkeit des unveränderten Unterrichtsstoffes und es kam zu kontroversen Diskussionen. Viele brachen ihr Studium ab. Im Februar 1990 endete vorfristig die Ausbildung für die deutschen Studierenden, der internationale Lehrgang wurde aber bis zum Schuljahresende fortgesetzt. Einige Länder holten ihre Delegationen dennoch vorher zurück.

Die Schulleitung versuchte, auf die Wünsche nach Reformen einzugehen und bot Seminare zum „Stalinismusproblem“ sowie Sprachkurse an. Auch Maßnahmen wie die erstmalige Wahl des Direktors, der Abbau des „Traditionskabinetts“ und die Anweisung, die Kolleg:innen nicht mehr mit „Genosse“, sondern mit „Kollege“ anzureden, sollten Reformbereitschaft signalisieren.

Erst ab dem 17. November 1989 durften die Studierenden mit dem westlichen Ausland telefonieren. Allein dieser Umstand zeigt, wie sehr die Schulleitung tatsächlich noch an alten Prinzipien festhielt und den Entwicklungen hinterherlief.

Im April 1989 reiste eine Gruppe Studierender der Jugendhochschule mit einem „Freundschaftszug“ in die Sowjetunion. Das Zusammentreffen ostdeutscher und sowjetischer Jugendlicher offenbarte die unterschiedlichen politischen Positionen zur sowjetischen Reformpolitik von Michail Gorbatschow. Ein Bericht der ostdeutschen Delegierten über ihre Reise dokumentiert eindrücklich die Sorge vor „klassenfeindlichen“ Einstellungen der „Freunde“.

Die Zukunft von Bogensee: „es muss sich rechnen“

Mit der politischen Entmachtung der SED und ihrer Massenorganisationen zu Beginn des Jahres 1990 verlor auch die FDJ ihre Legitimation und die Jugendhochschule ihre bisherige Aufgabe, FDJ-Kader auszubilden. Damit fiel die Finanzierung für den Schul-Betrieb weg.

Spätestens ab Februar 1990 begann die Schulleitung, neue Nutzungskonzepte auszuarbeiten, die vor allem auf die Eigenbewirtschaftung abzielten. Im Mai 1990 gründeten ehemalige Mitarbeiter:innen das „Internationale Jugend-Centrum“ (IJC), eine Einrichtung für Jugendarbeit. Zudem wurde mit der privatwirtschaftlichen Vermietung von Räumlichkeiten begonnen. Das Lehrpersonal ließ sich umschulen, im einstigen Lektionsgebäude wurde eine Rezeption eingerichtet und die freien Betten im Internat touristisch vermarktet. Banken und Versicherungen mieteten Seminarräume.

Das IJC, als Nachfolger der Jugendhochschule, sollte sich weiterhin schwerpunktmäßig der Jugendarbeit widmen. Finanziert werden sollte die Bildungsstätte durch die Vermarktung der Räume als „Kongreß- und Touristikzentrum“.

Blaue Fahne vor FDJ-Lektionsgebäude am Bogensee
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Standbild aus der Sendung „Klartext“, 7.1.1991; Regie: Christian Klemke; Quelle: DRA.

Ab Herbst 1990 nutzte die Deutsche Bank Räume der ehemaligen Jugendhochschule, um hier ihre ostdeutschen Mitarbeiter:innen in „Grundlagen der Volkswirtschaft“ und in „Strategischer Unternehmensplanung“ zu schulen. Das Unternehmenslogo schmückte nun den Eingang zum einstigen Lektionsgebäude.

Schild am Goebbels Waldhof, Titel "Restaurant Bogensee"
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Werbeschild für das Restaurant „Bogensee“ im einstigen „Waldhof“, August 1990; Foto: Gerhard Weber, Quelle: Privatarchiv.

Zum Aushängeschild des IJC wurde das Restaurant im „Waldhof“, das nun öffentlich zugänglich war.

Eingangsbereich Goebbels Waldhof am Bogensee
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Hauptgebäude des „Waldhofes“, August 1990; Foto: Gerhard Weber, Quelle: Privatarchiv.

Sichtbares Zeichen der neuen Zeit war die Entfernung des FDJ-Emblems am Eingang des „Waldhofes“.

Zusammengerollte Fahnen im Flur des FDJ-Lektionssaales am Bogensee
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Vor dem Eingang zum Lektionssaal, August 1990; Foto: Gerhard Weber, Quelle: Privatarchiv.

Die Fahnen und Embleme der FDJ wurden abgenommen.

Flur mit Fenstern im FDJ-Wohnheim am Bogensee
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Flur im ehemaligen Internat, August 1990; Foto: Gerhard Weber, Quelle: Privatarchiv.

In den ehemaligen Wohnhäusern standen über 500 Betten zur Verfügung.

Im Sommer 1990 reiste ein Fernsehteam des Jugendsenders „Elf 99" zum Gelände am Bogensee und warb für die dort geschaffenen neuen Bildungs- und Erholungsmöglichkeiten. In der Sendung sprach sich die Ministerin für Jugend und Sport, Cordula Schubert, gegen eine Privatisierung des Areals aus.

 

Ausschnitt aus der Sendung Der Jugendnachmittag“ des Jugendsenders „Elf 99", 21.8.1990; Produktion: DFF; Quelle: DRA.

KOMMENTAR Anja Tack: Wolfgang Leonhard am Bogensee

Im Sommer 1990 war Wolfgang Leonhard (1921–2014), der bis zu seiner Flucht aus der SBZ im Jahr 1949 als Dozent an der Jugendhochschule tätig gewesen war, zu Besuch am Bogensee. Seinen ersten Vortrag hatte er 1946 über „Staat und Staatsformen“ gehalten. Er war damals nicht viel älter als die Student*innen gewesen.

In seinem inzwischen zum Klassiker avancierten Buch „Die Revolution entlässt ihre Kinder“ (1955) berichtet Leonhard von seinen Erfahrungen in der SBZ. Aus Sicht eines ehemaligen Mitgliedes der engsten Führungsriege der SED skizziert er die fortschreitende Stalinisierung in der DDR, die ihn letztlich zur Flucht veranlasst habe. Seine Darstellungen genießen aufgrund seines Insider-Wissens hohe Glaubwürdigkeit. Sein Buch ist in mehreren Auflagen erschienen.

Nach seinem Besuch 1990 notierte Leonhard, dass er vor allem von der Größe des Geländes und der Erhabenheit der Gebäude beeindruckt gewesen sei. Die Monumentalität und Ausstrahlung des Ensembles las er als einen Beleg dafür, dass die Jugendhochschule ein „riesiges zentralistisches Instrument der Indoktrinierung“ gewesen sei, das im Widerspruch zu den Anfängen der „einst freimütig diskutierenden kleinen Jugendschule“ gestanden habe, wie er sie noch kennengelernt habe.

Wolfgang Leonhard beschrieb seine Zeit als Dozent an der Jugendhochschule in den 1940er Jahren als eine der „angenehmeren und schönen Episoden (seiner) damaligen Tätigkeit“. Das erste Foto zeigt ihn 1947 am Rednerpult im „Waldhof“ am Bogensee.

 

Im Sommer 1990 ließ sich Leonhard bei einer Reise an seine einstigen Wirkungsstätten in der DDR auch die Jugendhochschule zeigen. Das zweite Foto zeigt ihn im einstigen Lektionssaal der Jugendhochschule.

Der Internationale Bund für Sozialarbeit übernimmt das Gelände am Bogensee

Eine kostendeckende Bewirtschaftung gelang dem IJC nicht. Am 1. Januar 1991 übernahm der Internationale Bund für Sozialarbeit (IB) das gesamte Gelände und eröffnete das Internationale Bildungs-Centrum Bogensee (IBC).

Der IB legte, unterstützt durch die Politik, seinen Schwerpunkt auf das Angebot von Ausbildungsplätzen, vor allem für jene Jugendlichen, deren Betriebe infolge der Privatisierung der ostdeutschen Wirtschaft in Konkurs gegangen waren.

Entsprechende Fördermittel erleichterten dem IB den Neustart. Die technische Ausstattung wurde erneuert und die Gebäude teilweise umgebaut. Beispielsweise wurde die Restaurantküche im „Waldhof“ zur Ausbildungsstätte für angehende Köche. Der Betrieb des IBC wurde überwiegend von Auszubildenden, insbesondere im Bereich Gastronomie und Service, gewährleistet.

Die großzügigen Räumlichkeiten nutzten verschiedene Parteien und Organisationen aus Berlin und Brandenburg für Veranstaltungen. 1998 organisierte beispielsweise die Bundeszentrale für politische Bildung am historischen Ort eine mehrtägige Konferenz zum Thema „Diktaturen im 20. Jahrhundert“.

Doch die Auslastung der Veranstaltungsräume und Übernachtungsmöglichkeiten war zu gering. Die anfallenden Instandhaltungskosten der Gebäude konnten nicht erwirtschaftet werden. 1999 zog der IB aus, seitdem stehen die Gebäude leer.

Der IB warb für den Tagungsstandort und verwies auf seine idyllische Lage, die Nähe zu Berlin und seine geeignete Ausstattung.

Zeitungsartikel über FDJ-Schule am Bogensee nach DDR-Ende
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Wolfgang Richter: „Neuer Geist am Bogensee“; Quelle: Neue Zeit, 21.3.1993.

Der Schwerpunkt der Arbeit des IB am Bogensee bildete das Ausbildungszentrum, in dem „Konkurs-Lehrlinge“ nach der Schließung ihrer ursprünglichen Ausbildungsbetriebe eine Lehre machen konnten.

Tagung im Lektionssaal der FDJ-Schule Wilhelm Pieck am Bogensee
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„Konferenz Junger Führungskräfte aus den KSZE-Staaten“, 1992; Quelle: Zentralarchiv des Internationalen Bundes (IB).

1992 veranstaltete das Bundesministerium für Frauen und Jugend gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt die „Young Leaders Conference“ am Bogensee, bei der junge, internationale Führungskräfte über die zukünftige Gestaltung von Sicherheit und Demokratie diskutierten. Mit dabei: Bundesjugendministerin Angela Merkel (auf dem Podium).

Der IB baute die ehemaligen Internatsgebäude für den Hotelbetrieb um und benannte sie in „Haus Potsdam“, „Haus Budapest“ und „Haus Reggio di Calabria“ um. Etwas preisgünstiger waren die Zimmer im erst in den 1980er Jahren errichteten Internatsgebäude, das nun „Haus Wien“ hieß. Exklusiv wurde ein Appartement im „Waldhof“ – nun „Landhaus“ genannt – angeboten.

Gedeckte Restaurant-Tische im Goebbels Waldhof am Bogensee
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Foto aus der Broschüre „Geschichte des Landhauses“ des IB, nach 1991; Quelle: Zentralarchiv des Internationalen Bundes (IB).

Das Restaurant im „Waldhof“, das bereits in den 1980er Jahren eingerichtet worden war, betrieb der IB als Ausbildungsgaststätte weiter.

Gedeckte Tische und Balustrade im FDJ-Kulturhaus am Bogensee
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Saal im Kulturhaus (seit 1991 „Haus Bogensee“), 1996; Quelle: BLDAM.

Für Tagungen wurde auch der Große Saal im Kulturhaus genutzt.

Bogensee im Diskurs

„Lost Place“ Bogensee

Der Leerstand und zunehmende Verfall der Gebäude machen das Gelände am Bogensee zu einem geheimnisumwitterten „lost place“, der immer mehr Neugierige anzieht. Dabei ist es vor allem der „Waldhof“, der im öffentlichen Interesse steht und um den sich Mythen ranken.

In den letzten Jahren entdeckte die Film- und Musikbranche das Areal am Bogensee als Kulisse für sich. Produktionen wie der „Baron von Münchhausen“ und „Tatort“ hinterließen dabei ihre Spuren.

Verschiedene Zwischennutzungen und fehlende Informationen vor Ort führten jedoch auch zu Überschreibungen der historischen Substanz, die mitunter absonderliche Züge annahmen. So gelten beispielsweise Veränderungen, die im Rahmen der Filmdrehs vorgenommen wurden, inzwischen als „authentisch“ und Kunstwerke aus der DDR werden dem NS zugeordnet.

Stefan Berkholz: Goebbels' Waldhof am Bogensee. Vom Liebesnest zur DDR-Propagandastätte
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Umschlag zu Stefan Berkholz‘ Buch „Goebbels‘ Waldhof am Bogensee. Vom Liebesnest zur DDR-Propagandastätte“; Quelle: Berkholz 2007, Umschlag.

Die Publikation „Goebbels` Waldhof“ stellt sowohl die NS- als auch die DDR-Geschichte des Ortes vor. Dennoch fokussiert das Cover des populären Buches die Zeit des Nationalsozialismus und der Verlag warb für das Buch mit dem Vergleich des „Waldhofes“ als „kleine Kopie von Görings Reich“.

Schlagzeile über Bogensee-Areal: Vergessene Orte, Goebbels' Liebesnest
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Julien Reitzenstein: „Goebbelsʼ Liebesnest“; Quelle: DER SPIEGEL Geschichte, 6.7.2008, Link: https://www.spiegel.de/geschichte/vergessene-orte-a-949323.html [zuletzt eingesehen am: 17.5.2021].

Seit Erscheinen der Publikation von Stefan Berkholz im Jahr 2004, die den Untertitel „Vom Liebensnest zur DDR-Propagandastätte“ trägt, gehören die außerehelichen Affären von Joseph Goebbels verstärkt zur medialen Wahrnehmung von Bogensee.

Zeitungsartikel über Bogensee-Gelände, Titel: Goebbels Liebesnest
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NKK: „Goebbels Liebesnest“; Quelle: Berliner Kurier, 27.6.2006.

Das Privatleben des NS-Funktionärs steht seit Mitte der 2000er Jahre immer wieder im Fokus der Presse.

Eingangsbereich Goebbels Waldhof, marmorierte Wände, Messinglampen
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Bildschirmfoto der Website von „WW2 Nation“, Eintrag „Joseph Goebbels Villa at Bogensee“, Februar 2016; Link: https://ww2nation.com/joseph-goebbels-villa-at-bogensee/ [zuletzt eingesehen am: 17.5.2021].

Bei dem braunen Sockel im Eingangsbereich des „Waldhofes” handelt es sich nicht um einen originalen Marmorsockel aus den 1930er Jahren, wie ein Blogger 2016 fälschlicherweise annahm, sondern um einen Farbanstrich, der vor einigen Jahren für einen „Tatort“-Dreh aufgetragen wurde.

Statue vor Waldhof des NSDAP-Propagandaministers Goebbels
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Ein beliebtes Fotomotiv, Das “Liebespaar” vor dem Eingangsportal des “Waldhofes”, 2013; Foto: Ulrich Mählert.

Die britische Times vermutete, dass es sich bei der Liebespaar-Skulptur vor dem Eingang des „Waldhofes” um ein nacktes, arisches Paar handele: „A statue of a nude Aryan couple embracing stands by the entrance.” Tatsächlich war die Plastik erst in den 1980er Jahren aufgestellt worden.

Bogensee. Berliner Exklave und Bürde der Hauptstadt

Ab 1990 traten die ungeklärten Eigentumsfragen in den Blickpunkt der Diskussion um die Zukunft des Geländes. Nominell befand sich das Areal am Bogensee im Besitz der FDJ und gehörte damit zum staatlichen Eigentum der DDR. Juristisch hatte dieser Besitzwechsel, trotz Bemühungen der FDJ in den 1950er Jahren, nie stattgefunden. Die Stadt Berlin war immer Eigentümerin geblieben. Erst 1995 verbriefte die Nachfolgeinstitution der Treuhandanstalt, die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS), diese Tatsache. Bis dahin hatte sich das Land Brandenburg als zuständig angesehen.

Nach dem Auszug des IB 1999 versuchte das Land Berlin, das Gelände zu veräußern. Im Zuge des Interessenbekundungsverfahrens häuften sich jedoch kritische Stimmen. Aufgrund der Sorge, der „Waldhof“ könne in falsche Hände geraten und zu einem Wallfahrtsort der Rechten werden, sieht Berlin derzeit von Verkaufsabsichten ab. Aktuelle Überlegungen zielen auf die Entwicklung des Areals durch das Land selbst ab. Eine Machbarkeitsstudie von 2020 schlägt unter anderem die Errichtung von Wohnraum für 4.000 Menschen vor.

Verschiedene Initiativen versuchten bislang, das Gelände am Bogensee als kulturellen Veranstaltungsort zu beleben, blieben jedoch ohne die Unterstützung von politischer Seite erfolglos.

Der vom Land Berlin beauftragte Liegenschaftsfonds versuchte jahrelang, das knapp 170.000 Quadratmeter große Bogensee-Gelände zu vermarkten. Als Nutzungsmöglichkeiten galten unter anderem Internat, Universität, Hotel, Klinik oder „repräsentativer Unternehmenssitz“.

Zeitungsartikel, Foto FDJ-Lektionsgebäude, Schlagzeile NPD-Träume am Bogensee
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Sabine Rakitin: „NPD-Träume am Bogensee“; Quelle: MOZ, Januar 2007.

Die NPD und andere rechte Gruppierungen zeigten über die Jahre wiederholt Interesse an dem ehemaligen Landsitz von Goebbels.

Zeitungsartikel über Täterort Bogensee
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Andreas Barz: „Berlins Exklave Bogensee ist ein böser Ort“; Quelle: TSP, 31.10.2020.

Das Gelände am Bogensee gilt vor allem aufgrund seiner NS-Geschichte als „böser Ort“, was seiner Vermarktung im Wege steht.

Die Akademie Bogensee GmbH, eine Initiative regional ansässiger Künstler:innen, Sponsor:innen und Bildungseinrichtungen, nutzte seit 2016 die Räumlichkeiten für Kulturveranstaltungen und warb für den Erhalt des Komplexes.

Denkmal und Erinnerungsort

Denkmal Bogensee – Ein zukünftiger Erinnerungsort?

Seit 1996 stehen der „Waldhof" mit den dazugehörigen Wirtschaftsgebäuden sowie das gesamte Gelände der FDJ-Jugendhochschule unter Denkmalschutz. Das Gutachten zur Unterschutzstellung betont den architekturgeschichtlichen, städtebaulichen und künstlerischen Wert sowohl der Gebäude als auch der Außenanlage. Das Blockhaus ist 2007 in den Denkmalschutz einbezogen worden, musste jedoch nach einem Brandschaden 2019 abgetragen werden.

Das Gelände wird allmählich von der Natur zurückerobert und zudem durch Vandalismus weiter beschädigt. Viele Kunstobjekte, die im Außengelände standen, sind bereits zerstört oder gestohlen worden.

Seit 1990 gibt es Überlegungen, das Areal als historischen Ort zu bewahren. Ein Gutachten für das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen aus dem Jahr 1990 hatte beispielsweise betont, dass es sich hierbei um ein „riesiges Freilichtmuseum für den Baustil der Stalinzeit“ handele, das „als Zeitzeugnis und abschreckendes Beispiel (ähnlich dem Reichsparteitagsgelände der NSDAP in Nürnberg)“ dienen könnte.

Aufgrund seiner „authentischen“ Substanz gilt der Ort als besonders wertvoll für die Bildungsarbeit. Welche Möglichkeiten und auch Probleme bringt jedoch solch ein „Täterort“ mit sich?

Die denkmalpflegerische Unterschutzstellung des Areals erfolgte 1996 – zunächst ohne Erwähnung des Blockhauses.

Interview mit der Denkmalpflegerin Ilona Rohowski, 2021

Ilona Rohowski arbeitet seit 1990 für das Brandenburgische Landesdenkmalamt (BLDAM). In einem Interview schildert Rohowski das in den 1990er Jahren übliche Vorgehen des Unterschutzstellens von Objekten und erläutert den besonderen Wert des Geländes am Bogensee aus denkmalpflegerischer Perspektive.

 

Das Interview mit Ilona Rohowski führte Tina Handel, 14.2.2021.

Als erste Skulptur verschwand noch 1990 die Figurengruppe „Jugend voran“ vom Dach des Lektionsgebäudes.

KOMMENTAR Stefanie Endlich: Gedanken zum Erinnerungsort Bogensee

Dieses bauliche Ensemble ist ein einzigartiges Sachzeugnis. Für Bildungsarbeit wie auch für zukünftige Nutzungs- und Gestaltungskonzepte stellt es allerdings auch eine große Herausforderung dar. Anders als Gedenk- und Dokumentationsorte wie Prora oder Bautzen, an denen sich „doppelte Geschichte“ in einem einheitlich geplanten Gebäudekomplex vollzogen hat, besteht Bogensee aus zwei gänzlich unterschiedlichen Architekturen, die in zwei historischen Etappen erbaut wurden. Hier liegen die Zeitschichten sowohl nebeneinander als auch – aufgrund der DDR-Nutzung der NS-Gebäude – übereinander.

Bei den Bemühungen, den Geschichtsort stärker in die öffentliche Wahrnehmung zu bringen, kommt den Architekturen eine Schlüsselrolle zu. Die Baulichkeiten und Interieurs sind relativ gut erhalten. Ihre scheinbar ungebrochene Originalität kann jedoch die Besucherinnen und Besucher allzu leicht zu falschen Deutungen verführen. Das im „Heimatschutz“-Stil errichtete „Waldhof“-Ensemble mutet idyllisch, fast romantisch an und lässt weder die mit dieser Bauweise verbundenen rassistischen Vorstellungen von „Blut und Boden“ noch die an diesem Ort entwickelten Kriegs- und Vernichtungsstrategien erkennen. Wenn andererseits die Repräsentationsbauten der FDJ-Hochschule gern als prachtvoll und festlich empfunden werden, wird leicht übersehen, dass ihre stalinistisch geprägten neoklassizistischen Formen nicht die offene Aufbruchstimmung der ersten Nachkriegsjahre an diesem Ort zum Ausdruck brachten, sondern die restriktive Kulturpolitik der Folgejahre spiegeln.

Die Architekturen des Bogensee-Ensembles sind ein spannender Ausgangspunkt für historische Bildungsarbeit. Sie können jedoch nur im Kontext des jeweiligen kulturellen, gesellschaftspolitischen und ideologischen Hintergrunds und des speziellen Geschehens an diesem Ort verstanden und interpretiert werden. Historische Aufklärung durch Ausstellungen, Kommentierungen, Rundgänge und Workshops ist notwendig und hilfreich, um die „Aura“ des Ortes zu brechen und den Ideologiegehalt der Formen zu entschlüsseln. Dabei sollte es vor allem darum gehen, den Blick für Differenzierungen und Prozesse, für Brüche und Widersprüche zu schärfen. Dies gilt auch für den zukünftigen Umgang mit den Bauten. Notwendige Maßnahmen zur Beendigung ihres Verfalls bieten schon jetzt einen guten Anlass, über konzeptionelle Ideen zur Gestaltung des Gesamtensembles nachzudenken. Sensible Eingriffe und Markierungen könnten dazu beitragen, gerade jene Aspekte der Geschichte sichtbar zu machen, die hinter den Architekturen verborgen sind.

Zur Orientierung
Karte Blockhaus Ehrenhain Zeit ab 1990 Kulturhaus Plattenbau Lektionsgebaeude Waldhof Wohnheim